Die Aufgabe
Die Herausforderung
Zuerst dachten wir, unsere größte Herausforderung bestehe im sportlichen Timing. In rund acht Monaten sprinteten wir vom ersten Workshop bis zur öffentlichen Präsentation des Motion Comics „Ein Überleben lang“. Am Ende war es aber der große Respekt vor der Leistung von Edgar Kupfer-Koberwitz, der uns ins Schwitzen brachte, seinen Erfahrungen in dem geplant knappen Format genug Raum zu geben. Auf knapp 1.900 Seiten schreibt er im Laufe seiner Inhaftierung heimlich nachts und unter Lebensgefahr seine Erfahrungen im KZ Dachau auf. Und versteckt sie mithilfe von Kameraden unter schweren Stahlträgern, als das Kriegsgeschehen auch im KZ deutlich zu spüren ist. Auch nach der Befreiung können die Überlebenden diesen Ort des Grauens noch nicht sofort verlassen. Sie müssen erst in Quarantäne ausharren. Währenddessen rettet Edgar Kupfer-Koberwitz sein Manuskript, das einen Wasserschaden erlitten hat. Zeit seines Lebens kämpft er dafür, dass sein Zeugnis gesehen, gelesen, geschätzt wird.
Doch die große Aufmerksamkeit bleibt aus. Er kann seine Tagebücher schließlich in zwei Bänden verlegen lassen. Dennoch stirbt er in bescheidenen Verhältnissen, teilt alles, was er hat, am liebsten mit den Straßenhunden, die er bei sich pflegt. Wir haben Edgar Kupfer-Koberwitz in seinen Aufzeichnungen und in Berichten über ihn als eine faszinierende Persönlichkeit kennengelernt, die während ihrer Inhaftierung nie ihren moralischen Kompass verloren hat, Menschen auch in den dunkelsten Momenten zugewandt blieb und ihr Leben riskiert hat, damit die Nachwelt sich an die Toten von Dachau erinnert. Wie wird man dieser Überlebensgröße gerecht? Wie verdichtet man zwei zusammen knapp 700 Seiten lange Tagebücher auf ein Motion Comic von anfangs geplanten zehn Minuten? Okay, das war schon eine Antwort auf die Frage. Wir haben 15 Minuten draus gemacht. Eine weitere findet sich in unserem Konzept und zugegeben, in einem manchmal schmerzhaften Trial and Error-Prozess beim Herauskristallisieren, was wir möglich machen können und was nicht.
Das Konzept
Wir haben uns entschieden, Kupfer-Koberwitz‚ Vermächtnis von zwei Seiten zu beleuchten: Ein Plot beschreibt den Prozess der Rettung des Manuskripts, wie sie gewesen sein könnte. Wir bewegen uns hier im fiktionalen Raum, um auch diesen Teil der Geschichte zu erzählen. Bedacht legen wir Kupfer-Koberwitz nur wenige Worte in den Mund, bevorzugt seine eigenen. Im zweiten Plot tauchen wir gänzlich in seine Beschreibungen ein. Wir finden im Plot der Manuskriptrettung Anlässe und Themen, die uns in seine Tagebücher abtauchen lassen. Welche Schwerpunktthemen wir setzen wollen, hat zuallererst pädagogische, aber natürlich auch dramaturgische Gründe. Der Gedenkstätte war es wichtig, dass in der Graphic Novel Orte auftauchen, denen die Schüler*innen auch auf den Rundgängen begegnen. Außerdem haben wir einen Fokus auf universelle Themen wie Hunger oder Tod gelegt, und auf das, was die allgegenwärtige Präsenz von beidem mit den Menschen gemacht hat. In den Zwischentönen der Graphic Novel tauchen immer wieder persönliche Details über Edgar Kupfer-Koberwitz aus, z. B. seine schlecht zu entziffernde Handschrift oder seine Liebe zu allen Lebewesen. Selbst im KZ Dachau ernährte er sich ausschließlich vegetarisch.
Die Umsetzung
Wir haben die Graphic Novel zunächst als Printprodukt gedacht, dieses allerdings in 16:9 angelegt, um die filmische Umsetzung zu erleichtern. Unser Prozess ganz grob: Wir haben den Themenschwerpunkten Szenen zugeordnet und diese in Manuskripte überführt. Anhand der Scribbles haben wir die Inhalte, Dialoge und historisch korrekte visuelle Umsetzung mit dem Kunden abgestimmt.
Damit wir in den Darstellungen so korrekt wie möglich bleiben, haben wir uns vorab durch digitale Berge von Fotos gearbeitet. Mit den abgestimmten Scribbles und Skripten ging es in die Feinillustration, die Kolorierung und den Textsatz. Aufgrund des hohen Zeitdrucks haben wir die Manuskripte nach jedem Kapitel direkt in die Illustration gegeben. Was dadurch ausblieb: die Möglichkeit, das Skript noch einmal ganzheitlich zu kürzen. Einmal eingesprochen, stellten wir fest: Das wird kein 10-minütiges Motion Comic, das wird ein Spielfilm, wenn wir bei den ambitionierten Textmengen bleiben. Wir haben uns entschieden, aus der Not eine Tugend zu machen und das e-Paper der Graphic Novel als Extended Version anzubieten, den Motion Comic als Kurzfilm. Gesagt getan, haben wir uns der schmerzhaften Arbeit gewidmet, an Edgar Kupfer-Koberwitz‚ Worten zu kürzen, wo es respektvoll möglich ist. Und das, bis wir ein Sprecherskript hatten, das mit 15 Minuten zwar immer noch den ursprünglichen Rahmen sprengte, aber dem Kunden und uns nicht das Herz brach.
Das Ergebnis
… durften wir gemeinsam mit unserem Kunden am 19. März 2024 im Kino der Gedenkstätte seinem ersten Publikum präsentieren. Im Anschluss haben wir in einer Podiumsdiskussion einen Einblick hinter die Kulissen gegeben und uns über ausschließlich positives Feedback aus dem Publikum gefreut.
Du merkst vielleicht: Wir haben in kürzester Zeit wahnsinnig viele Gedanken und Herzblut in dieses Projekt gesteckt. An dieser Stelle müssen wir aufpassen, dass nicht auch die Länge dieses Blogbeitrags eskaliert. Zum Glück haben wir weitere Hintergrundinformationen zu Edgar Kuper-Koberwitz‚ Leben und zu den Gedanken, die wir uns bei der Konzeption der Graphic Novel gemacht haben, auch in das e-Paper der Graphic Novel auf der Website der KZ-Gedenkstätte Dachau gepackt. Wenn Du dann nur noch neugieriger geworden bist, dann können wir Dir auch Edgar Kupfer-Koberwitz‚ Tagebücher sehr ans Herz legen. Sie sind in zwei Bänden unter dem Namen „Die Mächtigen und die Hilflosen erschienen“.
Teamwork
Wir bedanken uns bei dem großartigen Team der Gedenkstätte KZ Dachau, genauer gesagt bei Dr. Kerstin Schwenke, Wiebke Siemsglüß, Maximilian Luczak und weiteren Mitwirkenden im Hintergrund. Und zwar für einen immer wertschätzenden, konstruktiven Austausch, für ein ehrliches Interesse an unseren Arbeitsprozessen, für Ideen und Verständnis auf dem Weg zur fertigen Graphic Novel.
Über diese tolle Zusammenarbeit freuten sich:
Toby Mory – Projektleitung und Beratung
Francesca La Vigna – Projektmanagement
Regine Hähnel – Storytelling, Konzept und Redaktion
Karolin Nusa – Storytelling, Konzept und Illustration
Francisco Riolobos – Illustration
Leo Rey – Storytelling, Konzept und Head of Motion
Patrick Wolter – Motion Design
Long Huy Dao – Konzept Motion
Jacopo Perico – Design
Patrick Wagner – Design
Angela Schulz zur Wiesch – Design
Ulrich Blöcher – Voice Over
Federico Truzzi – Musik, Sound Design und Mischung
Nikolaus Radeke – Tontechnik
Dilara Schneider – Storytelling
Mehr davon?
Wenn du auf der Suche nach weiteren innovativen Formaten zu einer zeitgemäßen Erinnerungskultur bist, dann schaue dir doch auch unsere anderen Projekte in diesem Themenfeld an. Mit #Stolen Memory haben wir den Arolsen Archives international Aufmerksamkeit verschafft und durften uns über Anerkennung durch den Grimme Online Award freuen. Auf YouTube findest du für denselben Kunden im Channel „Kein Thema“ verschiedene Videoformate, die wir für junge Generationen zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus entwickelt haben.
Wenn du nach einer virtuellen Ausstellung zum Thema suchst, wirst du in der Library of Lost Books fündig, ein Citizen-Science-Projekt, das wir für das Leo Baeck Institut realisieren durften.
Im urbanen Raum von Frankfurt wiederum durften wir auf die interaktive Dauerausstellung „Frag nach!” des Exilarchivs der Deutschen Nationalbibliothek aufmerksam machen.
Für die MEMO-Studie haben wir ihre zentralen Erkenntnisse zur Erinnerungskultur für Social Media aufbereitet. Mit der Gestaltung des KEK-Jahresberichts wiederum leisten wir einen Beitrag dazu, dass die Arbeit um den Erhalt von historischen Dokumenten – auch aus dem Nationalsozialismus – Sichtbarkeit bekommt.Wir könnten fortfahren, aber am besten scrollst du dich einfach weiter durch unseren Blog oder unsere Projekte. Oder aber du startest mit uns dein eigenes Projekt zum Thema Erinnerungskultur.