Es war einmal ein britischer Schriftsteller, Bruce Chatwin, der die ganze Welt bereiste, um spannende Geschichten zu sammeln. So suchte er in Patagonien nach Überresten des Brontosaurus, in Australien erforschte er den Gesang der Aborigines. Seine Notizen hielt er in schwarzen Büchern fest, die er in einer Pariser Papeterie kaufte und „moleskines“ nannte nach der Bindung aus dem sogenannten Maulwurfsfell (Englisch: „moleskin“), einem beschichteten Baumwollstoff. Nach Jahren des Nomadentums soll er unzählige davon besessen haben. Wie wichtig sie für ihn waren, zeigt das folgende Zitat:
Dann aber starb der einzige Lieferant aus Tours, so erzählt es Chatwin in dem Buch „Traumpfade“ (The Songlines) von 1987. Die Verkäuferin im Schreibwarenladen soll zu ihm gesagt haben: „Le vrai moleskine n’est plus – das wahre Moleskine gibt es nicht mehr.“ Für Chatwin brach eine Welt zusammen.
Una bella storia
Diese Geschichte steht auch heute noch auf einem Faltblatt, das jedem Moleskine-Buch beiliegt. Denn sie ist die Legende, die dem Produkt seinen tieferen Sinn gibt. „Una bella storia“, wie die Erfinderin selbst sagt, bei der nicht alles der Wahrheit entspricht. Doch sie handelt von Fernweh und Abenteuer und gab den Büchern damit das perfekte Image als „Accessoire für den modernen Nomaden“. Mitte der 90er Jahre beginnt in Mailand seine Erfolgsgeschichte, heute wird Moleskine an der italienischen Börse gehandelt.
Für die Vermarktung greift das Unternehmen Modo & Modo auch auf die Namen berühmter Künstler zurück, die alle mit Notizbüchern gearbeitet haben sollen: Vincent van Gogh, Pablo Picasso, Oscar Wilde, Ernest Hemingway. Der Kunde soll wie sie seine Ideen in den Büchern festhalten, die Marke wird somit zum Enabler für Kreative – ein klassisches Merkmal von gutem Storytelling. Gleichzeit wird durch die Künstlergrößen eine Tradition heraufbeschworen, die es natürlich nie gab. Und auch der Einband bestand nie aus der von Bruce Chatwin beschriebenen Maulwurfshaut, die Bücher werden heute in China produziert.
Dafür hat Moleskine gezeigt, dass eine Brand Story nicht wahr sein muss, um zu funktionieren. Aber sie sollte klassische Elemente von Legenden und Romanen enthalten, bei diesem Beispiel sind das „Charaktere mit klingenden Namen. Paris als romantischer Handlungsort. Und dann die Handlung selbst: Ein Schatz geht unter und wird wiederentdeckt“.